DER KÖRPER ERZÄHLT LEBENSGESCHICHTE

Die Körperpsychotherapie (KPT) spürt nach, macht Verdrängtes und Konflikte aussprechbar.
Dr. Elfriede Kastenberger, Ärztin und Psychotherapeutin, im Gespräch mit Jutta Berger.

 

Standard: Wie unterscheidet sich Körperpsychotherapie von anderen psychotherapeutischen Methoden?
Kastenberger: Wie bei fast jeder psychotherapeutischen Methode ist die therapeutische Beziehung die Grundlage. Im Unterschied zu anderen tiefenpsychologischen, erlebnisaktivierenden Therapieformen geht die KPT aber davon aus, dass Körper und Psyche eine Einheit sind. Wir wissen, dass Körper und Seele in einer ständigen Wechselbeziehung sind, sich gegenseitig beeinflussen.

Standard: Was kann der Körper über psychische Störungen oder Erkrankungen aussagen?
Kastenberger: Für die Körperpsychotherapie ist der Organismus die Verkörperung des mentalen, emotionalen, sozialen Lebens. Emotionale Konflikte, verdrängte Gefühle und Bedürfnisse können sich in Körperhaltung, Atmung, Verspannungen, auch in körperlichen Erkrankungen manifestieren.

Standard: Wie arbeitet die KPT mit diesen Botschaften?
Kastenberger: In der Therapie ist nicht nur wichtig, was gesagt wird, sondern auch, ob Gesagtes, Mimik, Gestik und Stimme zusammenpassen. Unsere Wahrnehmung wird sehr lange geschult, auch durch Selbsterfahrung. Wesentlich ist aber nicht nur, dass ich als Therapeutin etwas erkenne, sondern, dass ich meinen Klienten ermögliche, selbst wahrzunehmen, was im Körper vorgeht. Dass sich da möglicherweise andere Impulse zeigen, als bewusst wahrgenommen werden.

Standard: Können Sie das an einem Fallbeispiel skizzieren?
Kastenberger: Jemand erzählt von einer Unterredung mit dem Chef und ballt dabei unbewusst die Faust. Wenn ich darauf hinweise, ist die erste Reaktion meist, dass man die Faust aufmacht und so tut, als wäre nichts gewesen. Es geht aber darum, dass dieser Mensch einen Zugang dazu bekommt, dass hinter dem neutralen Bericht Gefühle stecken. Um das wahrnehmbar zu machen, lade ich ein, in sich zu schauen, zu spüren, wo dieses Gefühl ist. Wenn ein Druckgefühl im Bereich des Magens ist, geht es darum, dorthin zu spüren, dann werden zu diesem Druck im Magen Gefühle oder Erinnerungen auftauchen. Damit gibt es oft einen direkten Zugang zu „verbotenen“, verdrängten Gefühlen oder Konflikten.

Standard: In der Körperpsychotherapie ist auch die körperliche Berührung erlaubt.
Kastenberger: Das ist etwas Entscheidendes. Die Spannweite ist aber bei den verschiedenen Richtungen groß. Ob taktile Berührungen eingesetzt werden, hängt von den Klienten ab und auch von der jeweiligen Schule.

Standard: Die körperliche Berührung von Klienten ist umstritten...
Kastenberger: In manchen Psychotherapierichtungen ist taktile Berührung eine Verletzung der Abstinenz, andererseits gibt es anerkannte Richtungen, in denen Berührung zum normalen Setting gehören, wie beispielsweise die Gestalttherapie. Manchmal werden trotzdem bei dem Wort Berührung, taktile, physische Berührung,  Phantasien, Ängste frei…

Standard: Sie sprechen das Argument der Sexualisierung an?
Kastenberger: Sexualisierung und Invasivität. Man kann aber auch mit Worten berühren, sexualisieren, übergriffig sein. Bei der therapeutischen Berührung geht es um den sehr bewussten und achtsamen Umgang mit Berührung. Klienten erfahren, was Berührung für sie bedeutet: sie können  Spannung im Körper entdecken, ihre körperlichen Grenzen, Kontakt, Nähe, Halt wahrnehmen oder den Wunsch, sich abzugrenzen.

Standard: Wie unterscheidet sich die Körperpsychotherapie von Körpertherapie, wie Feldenkrais, Cranio-Sacral-Therapie?
Kastenberger: Bei der KPT geht es um Bewusstwerden und um Integration von Erfahrungen geht, um Bearbeiten von Übertragungsbeziehung. Die Körpertherapie will vor allem Veränderung am Körper über den Körper durch die Therapeutin. Bei der Körperpsychotherapie sind es die Klienten, die mit Unterstützung der Therapeutin ihren Weg suchen zu mehr Gesundheit, Wohlbefinden, Lebendigkeit

ZUR PERSON:
Elfriede Kastenberger (61) ist Psychotherapeutin und Ärztin mit Schwerpunkt Psychosomatik, chronischer Schmerz, ärztliche Leiterin der „Interdisziplinären Praxis für Fibromyalgie“ und Vorsitzende der AABP (Austrian Association for Body Psychotherapy)

„Körper und Seele beeinflussen sich gegenseitig. Der Körper kann uns helfen, das Unbewusste bewusst zu machen“ sagt die Ärztin und Körperpsychotherapeutin Elfriede Kastenberger.

Die Sprache des Körpers lesbar machen

Studien, wie eine in der Schweiz und Deutschland durchgeführte Multizenterstudie, belegen die Wirksamkeit der Körperpsychotherapie. Angst, Depression, andere psychopathologische Symptome, interpersonelle Probleme, körperliche Beschwerden erfuhren, so die 2006 durchgeführte Studie, bereits nach sechs Monaten ambulanter  körperpsychotherapeutische Therapien signifikante Besserung. Die Studie ist ein Trumpf in Händen der Körperpsychotherapeuten, wurde ihnen doch lange von der evidenzbasierten Medizin die wissenschaftliche Anerkennung verweigert.

Das ist mit ein Grund, warum die Körperpsychotherapie von den Krankenkassen nicht finanziert wird. Die AABP, die österreichische wissenschaftliche Vereinigung für körperorientierte Psychotherapie, in der die einzelnen Schulen erstmals zusammenarbeiten, macht nun einen Anlauf und stellt den Antrag auf Anerkennung.

In der AABP sind folgende Richtungen vertreten: Biodynamischen Körperpsychotherapie, Bioenergetik, bioenergetische Analyse, Biosynthese, Hakomi, Charakteranalytische Vegetotherapie, analytische körperbezogene Psychotherapie, die Emotionale Reintegration und Radix.

Den Körper verstehen lernen

Ärztinnen und Ärzte sind immer öfter mit Menschen konfrontiert, die über Schmerzzustände klagen, für die keine organischen Ursachen zu finden sind. Ob Rücken- oder Kopfschmerzen, unergründliches Bauchweh, vermeintliche Herzattacken. Körperliche Beschwerden können Ausdruck für verdrängte Gefühle sein, Reaktionen auf traumatische Erlebnisse oder negativen Stress. Die Grunderkenntnis, dass jede psychische Störung, jedes psychische Phänomen den Körper beeinflusst und prägt, möchte die AABP mit einem Curriculum an Ärztinnen und Ärzte weitergeben.

Das erste von sechs Modulen des Curriculums „Körperpsychotherapie und Medizin“ startet im Jänner 2009. Der Lehrgang richtet sich, so die Psychotherapeuten Felix Hohenau, Elfriede Kastenberger, Renate Malek und Eva Wagner-Margetich, an „Ärztinnen und Ärzte, die ihre Sichtweise und ihr diagnostisches Spektrum um einen ganzheitlichen Zugang zum kranken Menschen erweitern wollen“.

Ärztinnen und Ärzte erfahren von der Therapeutengruppe durch erlebnisorientiertes Lernen, wie Gefühle und physiologische Reaktionen des Körpers zusammenhängen. So interpretiert die Körperpsychotherapie etwa chronische Muskelverspannungen oder bestimmte Atemmuster, die das Vegetativum beeinflussen, als lebensgeschichtlich sinnvolle Funktion, die zur Unterdrückung unliebsamer Affekte dient. Das Erkennen der biografische Zusammenhänge und Verstehen der nonverbale Botschaften verbessert nach Meinung der Körperpsychotherapie die Kommunikation zwischen Arzt und Patient und könne voreilige Medikamentengaben verhindern. (jub)